[Außereuropäische Gitarrenarten]
Im Orient hat sich übrigens die Guitarre in Anbetracht der Saitenzahl ihres Bezugs wie der Zahl ihrer Bünde in umgekehrter Weise ausgebildet, wie im Okzident. In erster Art, weil bei der Führung einer Melodie, da der Morgenländer keine Harmonie in unserem Sinne kennt, die einfache Vertretung der Klänge des Tonreichs ausreichend ist - und in zweiter, weil innerhalb der Oktave in allen orientalischen Musikkreisen eine größere Tonzahl als bei uns in Gebrauch ist. Die heutige arabische Kunst besitzt der Zahl nach die meisten Guitarren-Arten. Diese teilt man dort in zwei Gattungen, gitarrenartige Tonwerkzeuge mit Drahtsaiten und solche mit Darmsaiten. Erstere nennt man Tanburen. Da diese Gattung somit einen besonderen Namen führt und die Benennung Guitarre oder eine ähnliche daraus abgeleitete meist nur für Griffbrettinstrumente mit Darmsaiten dort wie anderwärts in Gebrauch ist, so dürfen hier die Arten der Tanburen, die in allen andern orientalischen Musikkreisen Nachahmung fanden, ganz außer Acht bleiben. Die Guitarre im arabischen Musikkreise hat fünf Saiten.
In Indien kennt man mehrere Arten der Schikâra, von denen zu merken ist, dass sie einige Eigenheiten der Vina, des Nationaltonwerkzeugs, aufweisen, und deren eine, die Schikâra von Madras, bald als Reiß-, bald als Streichinstrument Anwendung findet. Alle Arten sind meist nur viersaitig. Die indischen, Sitar genannten Musikinstrumente dagegen haben sechs- und siebensaitige Bezüge aus Metallsaiten, gehören also nach Obigem zur Gattung der Tanburen - und lassen wir deshalb diese hier trotz der Benennung außer Acht.
Die persische Schtâre hat nur vier Saiten.
In China kennt man in neuerer Zeit drei Guitarren-Arten: Pun-Gum, viersaitig; Gut-komm, ebenfalls viersaitig; und Sam-jun, nur dreisaitig.
In Japan kultiviert man zum Spiel bei Tänzen vorzüglich eine zweisaitige Guitarre, von der ein gutes Bild, das zugleich über die Nutzanwendung derselben belehrt, in The illustrated London news No. 1807 des Jahres 1874 pag. 349 gegeben ist.
[Verbesserungen und Abarten der Gitarre - europäische Instrumentenbauer]
Schließlich seien hier noch kurz einige der Bestrebungen, die Guitarre zu vervollkommnen, aufgezeichnet.
Thielemann, Instrumentenbauer in Berlin, beschäftigte sich seit dem Jahr 1806 mit Vorliebe mit der Verbesserung der Guitarre und hat die Frucht seiner Bestrebungen in zwei Abhandlungen niedergelegt (Leipziger allgem. Ztg. 1818 S. 756 und 1820 S. 717). Eine ebenfalls die Verbesserung der Guitarre betreffende Abhandlung befindet sich in derselben Zeitung vom Jahr 1813, in der der Instrumentenbauer Arzberger seine Erfahrungen mitteilt.
Besonders um den Damen, deren Lieblingsinstrument die Guitarre in den Zeiten ihrer Blüte war, die wunden Fingerspitzen beim Reißen [Zupfen] der Saiten zu ersparen, erfand ein Deutscher in London, dessen Name nicht bekannt geblieben ist, eine Claviatur mit sechs Tasten. Durch einen Mechanismus bewirkten diese, dass Tangenten aus dem Körper der Guitarre durch ein länglich geformtes Schallloch die Saiten tönend erregten. Die Funktion des Greifens der Töne verblieb auch bei dieser Guitarre der linken Hand. Der Erfinder nannte dies Tonwerkzeug: Pianoforte- oder Tastenguitarre.
Der Hang, der Guitarre eine möglichst romantische Form zu verleihen und derselben dabei zugleich die leichteste Behandlungsweise anzuweisen, führte einen Franzosen, dessen Name gleichfalls nicht bekannt geworden ist, dazu, der Guitarre die Form einer Lyra zu verleihen, die mit Griffbrett versehen war und außerdem eine Tastatur, gleich der der eben erwähnten Tastengguitarre, hatte. Dies Instrument, welches sich in den Jahren von 1820 bis 1830 einiger Verbreitung erfreute, nannte sein Erbauer Lyraguitarre [siehe Abb. unten].
Im Jahr 1823 erfand Joh. Georg Staufer in Wien die sogenannte Guitarre d'amour, italienisch chitarra con arco und deutsch Bogen- auch wohl Violoncellguitarre geheißen, deren genauere Beschreibung in einem besonderen Artikel gegeben ist. Hier sei nur bemerkt, dass die Erfindung nicht eine Guitarre gibt, sondern ein Streichinstrument.
Ende der zwanziger und anfangs der dreißiger Jahre dieses Jahrhunderts [19. Jh.] kam auch eine sogenannte Guitarren-Harfe in Gebrauch, über die das Bekannte in dem betreffenden Artikel gegeben ist.
Trotzdem nun in neuester Zeit die Guitarre aus Künstlerhänden fast gänzlich verschwunden ist und deshalb auch Verbesserungen derselben fast gar nicht mehr versucht werden, so findet man doch noch hin und wieder Fabrikate angepriesen, die eine Bereicherung derselben an Saiten zeigen. So bietet die deutsche Musikerzeitung 1874 No. 12 S. 95 in der Anzeige des Instrumentenfabrikanten Georg Heidegger Terz-, Tenor- und Bass-Guitarren eigener Konstruktion mit abzuschraubendem Halse und Stahlspreizen an, die neun, zehn und dreizehn Saiten führen. Diese Bezugbereicherung, die eine Resonanzkastenveränderung etc. erfordert, ist nur eine der Lauteneigentümlichkeiten entnommene Nachbildung und bietet der Kunst selbst nichts neues Beachtenswertes. [C. Billert in: Mendel/Reissmann Lexikon 1874, 453f]
Artikel "Guitarre" in [Mendel/Reissmann Lexikon 1874]:
Ergänzung: Gitarre um 1880, Metallsaiten, Wiederbelebung durch Leipziger Gitarrenclub