"Guitarre-Schule" - Gitarrenlehre von 1802

Guitarre-Schule 1802: IV. Von dem Anschlagen der Saiten

IV. Kapitel. Von dem Anschlagen der Saiten.

§ 1. Die Gitarre, dieses sanfte und zur Begleitung des Gesanges so angenehme Instrument, kann durch einen nachlässigen, zu starken oder zu schwachen Anschlag zu einem widrigen, unangenehmen Instrumente umgeschaffen werden.

§ 2. Man studiere daher erst den Ton seines Instruments, das heißt: Man suche den Platz auf dem Körper der Gitarre, wo der Ton am angenehmsten ist.

1te Anmerkung: Doch hier ist eine Ausnahme zu merken, die sich auf Ausdruck und Charakter des zu spielenden Stücks gründet. Ein Stück, worin ein sanfter schwermütiger Ton herrscht, unten unweit des Saitenhalters zu spielen (wo der Ton sogleich verfällt und weniger angenehm ist), würde dem Charakter des Stückes zuwider sein. Hingegen ein Stück, welches Geist und Leben enthält, in der Nähe des Griffbrettes zu spielen, hieße die Wirkung des Stückes ganz verfehlen. Man sehe das I. Kap. § 6.

§ 3. Was das Anschlagen der rechten Hand betrifft, so hüte man sich ja, die Finger weder zu tief zwischen die Saiten zu stecken, noch mit den Nägeln zu reißen [zupfen]. Ersteres würde ein schweres und ermüdendes Spiel verursachen und die Finger bei geschwinden Abwechslungen der Töne und Saiten hemmen. Letzteres würde einen unreinen und kreischenden Ton verursachen.

§ 4. Man gewöhne sich daher früh, die Saiten so leicht wie möglich nur mit den Fingerspitzen zu berühren, doch ohne die Deutlichkeit des Tones zu vernachlässigen, und schlage die Töne in gleicher Stärke und Schwäche an, je nachdem es die Signatur über den Noten verlangt. Zur Übung eines gleichen Anschlags bediene man sich der auf verschiedene Art auseinandergesetzten Akkorde im V. Kap. § 7-11.

§ 5. Auch trägt das Aufsetzen der Finger an der linken Hand auf die Bünde oder Stufen des Griffbretts sehr viel zur Beförderung eines guten Tones bei; und man verabsäume nicht, den bestimmten Finger fest auf den Ton oder Stufe zu setzen - und zwar so, dass der Finger auf der Mitte der Stufe ruhe und den Ton abschneide. Nähert man sich dem Bunde über dem Tone, so ist ein unreiner und schnarrender Ton zu erwarten, der einen vollstimmigen Akkord widrig und dissonierend macht.

§ 6. Bei laufenden Noten ist in Rücksicht des Anschlages zu merken, dass nicht alle auf dem Griffbrett zu nehmenden [greifenden] Töne unten auf der Gitarre mit der rechten Hand angeschlagen werden müssen. Sondern es ergeben sich 2, auch 3, Töne durch das Auflegen der folgenden Finger auf die vorgeschriebenen Stufen von selbst nach dem ersten Tone auf der bestimmten Saite, ohne diese erst mit der rechten Hand anzuschlagen. Doch kommt es darauf an, wie die Noten markiert sind.

Fig. 10 (Legato, Bindungen) aus "Guitarre-Schule" von 1802

2te Anmerkung: Sind Punkte oder Striche über [oder unter] den Noten gesetzt, so werden die Töne alle mit der rechten Hand angeschlagen. Sind aber Bogen über denselben, so werden von diesen so viel gezogen [gebunden?], als der Bogen in sich fasst, wie vorhergehender § angibt. Wechseln Punkte und Bogen schnell ab, so wird die mit dem Punkt markierte Note abgestoßen und die Noten unter einem Bogen geschleift.