"Bei Erlernung eines Instruments ist vor allem nöthig, daß man sich mit demselben, so wie mit den Benennungen bekannt mache, die bei demselben die gebräuchlichsten sind. Eine kurze Beschreibung der Guitarre und der bei diesem Instrument vorkommenden Namen und Ausdrücke ist hier um so nöthiger, weil ohne sie das nachfolgende Werk manchem nicht überall verständlich sein würde. Man nehme dabei die Guitarre zur Hand.
Die beiden Haupttheile dieses Instruments sind der Körper, und der an ihm befindliche Hals. An dem Körper ist zu merken: a) die obere Fläche, welche die Decke, auch der Resonanzboden heißt. In ihr ist das Schalloch eingeschnitten. b) Die untere Fläche welche der Boden heißt. c) Die gekrümmte Seitenwand zwischen beiden Flächen, sie heißt die Zarge. d) Auf der Decke ist der Steg festgeleimt. An diesem ist das eine Ende der Saiten befestigt.
Der zweite Haupttheil, der Hals, ist das lange und platte Holz, das, am Körper befestigt, sich oben mit dem Wirbelstocke endigt. Am oberen Ende des Halses liegen die Saiten auf einem Querholzstabe auf, welcher der Sattel heißt. Die Saite klingt nur zwischen den beiden festen Punkten, nehmlich zwischen dem Sattel und dem Stege, auf denen sie ruht.
Der Hals liegt bei dem Spielen in der linken Hand, die sich frei an ihm auf und abwärts bewegt, indem die Finger die Töne greifen. Die vordere Fläche des Halses auf welcher die Töne gegriffen werden heißt das Griffbrett. Die ganze Länge der klingenden Saite von den beiden angegebenen festen Punkten derselben auf dem Stege und dem Sattel wird in zwei gleiche Theile getheilt. Drückt man mit dem Finger in diesen Theilungspunkt, so giebt die um die Hälfte verkürzte Saite die höhere Octave ihres Tons an. Von dem Grundton der Saite bis zu dieser Octave, sind nun die dazwischen liegenden zwölf halben Töne auf dem Griffbrette, des sichern und reinen Greifens wegen, durch erhabene Querleistchen, welche Bünde oder Abtheilungen heißen, bezeichnet. Jeder halbe Ton hat seinen Bund, den man die Abtheilung, oder auch die Stufe nennt. Man zählt die Stufen auf jeder Saite von dem Sattel an, und bezeichnet sie durch die erste, die zweite, die dritte Stufe, übereinstimmend mit den auf sie zu setzenden Fingern. Die Finger müssen die Saiten fest auf die Bünde drücken, um einen klaren und reinen Ton hervorzubringen. Die rechte Hand schlägt die Saiten, durch Anschnellen derselben mit den Fingerspitzen an. Die Guitarre ist mit sechs Saiten bezogen, von welchen die drei unteren (tiefen) gewöhnlich aus Seide gedreht und mit Draht übersponnen sind."
Ferdinando Carulli: Vollständige Guitarren-Schule, Berlin [ca. 1830]
Der Komponist und Gitarrenvirtuose Ferdinando Carulli beschreibt um 1830 die Gitarre, die ihm damals zur Verfügung stand. Sie ist in vergleichbarer Form in einem Video auf YouTube zu sehen und zu hören. Es ist noch nicht die Konzertgitarre, wie wir sie heute kennen und wie sie einige Jahrzehnte später maßgeblich vom Gitarrenbauer Antonio de Torres entwickelt werden sollte. Die Gitarren zu Carullis Zeit waren kleiner und langgezogen, hatten eine deutlich engere Taille und eine niedrigere Zargenhöhe - insgesamt daher einen kleineren Resonanzkörper und Resonanzboden. Auf dem Video klingt sie dennoch rund und klanglich ausgewogen, erinnert dabei allerdings doch an den 'dünneren' Klang einer Laute.